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In Tanja Ghettas neuem Programm geht es um Gott und ihre innere und äußere Welt. Irgendwie logisch, dass der Herrgott sogar persönlich im Stück vorkommt, denn Ghetta kommt aus dem Heiligen Land Tirol, wo Gott zu Hause ist. Man braucht aber nicht zu glauben, dass sie dieser kleinen Welt unkritisch gegenübersteht. Nein, sie teilt schon kräftig aus, wenn sie so manche (Geistes)zustände in Tirol satirisch aufarbeitet.

Die innere Welt der Figur, welche da Tanja Ghetta auf der Bühne spielt, ist hart aber herzlich, so wie man sich halt klischeehaft den Charakter einer waschechten Tirolerin vorstellt. Das Kokettieren mit dem Tiroler Dialekt und das Spielen mit den charakterlichen Eigenheiten/-sinnigkeit der Ureinwohner kommen beim Publikum recht gut an. Dies ist von der ersten Minute an klar. Völlig enthusiasmiert spielt sie uns zu neuer Volksmusik vor, sie wäre in den wunderschönen Tiroler Bergen, wo es so „schian“ (schön) ist.

Doch was sucht sie mit einer Gelenkleiter auf der Bühne? Und wieso hat sie Radhandschuhe an? Dies hat eine Vorgeschichte: Schuld daran ist ihre tussihafte Freundin Betty. Die hatte nämlich ursprünglich eine „Moderatorinnen-Figur – oben super, unten barock“. Sie zog aber Entschlackungswochen (Tanja: „I koch dir gratis nix!“) und die Weight-Watchers gegenüber Tanjas Hardcore-Sportprogramm vor, um zu ihrer Idealfigur zu kommen. Um Punkte bei den Weight-Watchers zu sammeln hat sie angeblich den Großglockner in 3 ½ Stunden bezwungen. Tanja kann als „sture Tiroler Goas“ (Gendering) und Leistungsfetischistin diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen.

Es darf nun als genialer Regieeinfall gelten, Tanjas Rekordbesteigung des Großglockners mithilfe dieser Gelenkleiter darzustellen. Neben der künstlerischen Leistung ist wohl Tanja Ghettas sportliche Leistung an diesem Abend unbestritten. Erzählerisch die Geschichte vorantreiben ist das eine, doch gleichzeitig sich affenartig auf der Leiter teilweise in schwindelerregender Höhe herumzuschwingen ist das andere. Dies ist schon darstellerisches Multitasking in Perfektion. Die Szenen, welche sich da slapstickartig auf und mit der Leiter abspielen, erinnern schon an einen linkischen Jerry Lewis.

Einen wesentlichen Reiz des Stücks macht die gekonnte ironische Überzeichnung der vorkommenden Charaktere aus. Das sind einerseits die Weicheier Betty und Klaus, ihr Exfreund, und andererseits die polarisierende Gegenüberstellung der ruppigen und „unsensiblen“ Tanja aus Tirol. Klaus ist übrigens ein „Krankenscheinquartal“ lang ihr Freund, bis sie sich für das wehleidiges „Mandl“ beim Zahnarzt fremdschämen muss. Es folgt ein Diskurs über die Schwierigkeit des Schlussmachens. Sie übermittelt ihm schließlich auf äußerst skurrile Art die Botschaft in Form eines Ausdruckstanzes (Schuachplattler).

Die Besteigung des Großglockners erlangt jedoch metaphysischen Charakter, als sie sich im Nebelmeer versteigt. Hochmut (gegenüber den

anderen) folgt vor dem Fall. Seltsam, in welche Gedanken man sich versteigen kann, wenn man einen Notruf absetzen will, aber doch aus dem Leben gegriffen: Sie malt sich z.B. die verquere Reaktion ihrer Mutter aus: „Mama, i werd sterb’n“ - „Host wenigstens die Wohnung aufg’ramt?!“., Schon überraschend, wie die Prioritätensetzung im provinziellen Denken sein kann, wenn es um essentielle Dinge im Leben geht…

In höchster Bergnot zieht Tanjas Leben wie ein Film an ihr vorüber. Ghetta zeichnet dabei ein recht zynisches Sittenbild des idyllischen Tiroler Landlebens: Der Pfarrer „mit an Fetz’n“, der sie mit dem Messwein tauft. Die früher noch „echte“ Erziehungsmethode des „Holzschscheitlkniens“. Oder, „nur die Hoatn kimmen durch“, Baden im 5° kalten Achensee. Sie zeichnet uns ein erzkonservatives Bild von Tirol, und spielt überzeugend den aufgebrachten Altbauern, der seinen Sohn „a Fotzn owihaut“, als dieser ihm eröffnet, er wolle studieren.

Tanja Ghettas Programm ist reich an skurrilen Ideen: Ihr erscheint Gott in Form einer zotteligen Handpuppe, die eher an Confetti erinnert. Die existentiellen Dialoge, welche sie mit diesem führt, haben durchaus Tiefgang, sind aber gleichzeitig Zwerchfell-erschütternd. Des Himmelvaters Weisheiten bezüglich Risikominimierung sind durchaus erdiger Natur: „Warst ned aufigstiegn, warst jez ned dou“, Des Herrgotts von Tirol „Lösungsvorschlag“: „Mogst a Schnapsl?“ Tanja kontert aber, dass das Hineingeborenwerden in die Familie noch viel riskanter sei. In einem Song darüber besticht sie durch unheimliche Wandlungsfähigkeit: In Sekundenschnelle wechselt sie zwischen Death-Metal-Geröhre und samtiger Stimme zu Bossa Nova-Klängen.

Durch ihren „Höhenrausch“ erlebt Tanja grauenhafte Visionen über Einkaufszentren, Tankstellen und Kinderarbeit auf dem Großglockner. Die sonst so furchtlose Tirolerin hat auf einmal Zukunftsängste. Einerseits wünscht sie sich nichts mehr als eine Welt, wo „die Leit mehr schmusen“, andererseits behauptet sie resignierend, „Menschen ändern sich ned“. Sie erkennt durch den erweiterten Horizont am Großglockner auf einmal die positiven Seiten an ihrem verstoßenen „Klaus“. Der Handpuppen-Herrgott meint zwar „Aufwärmen tuat ma nur a Gulaschsupp’n“, sorgt aber in mehrfacher Hinsicht für einen glücklichen Ausgang der (Liebes)geschichte. Das Ende sei nicht verraten, denn das sollen die Leserinnen und Leser durch den Besuch des neuen Programms live miterleben.

Akrobatisch sind nicht nur Tanja Ghettas Bewegungen auf der Leiter, sondern auch ihre Gedankengänge über Land und Leute im „schianen“ Tirol. Bei allem Sarkasmus und aller Ironie ihrer Umwelt gegenüber, endet die Geschichte aber als Liebesgeschichte – einfach herzerweichend romantisch. Tanja Ghetta hinterlässt insgesamteinen äußerst sympathischen Eindruck auf der Bühne.